Die Brettensuite ist eine Serie von 20 Skulpturen von Herbert Nouwens. Dieses Gesamtwerk steht seit 2015 im Dialog mit den verschiedenen Landschaften des Brettenpads.
“Die Beziehung zwischen einer Skulptur und ihrer Umgebung ist für mich von zentraler Bedeutung. Ich habe mir daher bewusst Orte entlang des Rad- und Wanderwegs “Brettenpad” ausgesucht, die ein Wahrzeichen erfordern. Dieser 7 km lange Weg beginnt im Westerpark im Zentrum von Amsterdam und führt vom Bahnhof Sloterdijk in eine ländliche Umgebung am Stadtrand. Ich habe die Skulpturen im Verhältnis zueinander positioniert, inspiriert von Musiksuiten, die Zusammenfassungen von kurzen Musikstücken von Komponisten aus dem 17. Jahrhundert wie Bach sind und eine Serie von Tänzen bilden. “- Herbert Nouwens
Ort: Amsterdam – Halfweg
Frei zugänglich
Fotografie: Piet Koster
Brettensuite, ein Frühlingseindruck
Remco Daalder, Stadtökologe in Amsterdam einen persönlichen Text über das Brettenpad geschrieben.
Acht Uhr morgens, ich nehme die Fähre von Amsterdam Noord nach Houthavens. Die Fähre ist voll mit Radfahrern, die nach einem Stau in einem langen Pulk Richtung Westerpark fahren. Es erinnert mich an Fotos aus den fünfziger Jahren. Lange Reihen von Arbeitern auf dem Fahrrad auf dem Weg zur Arbeit. Sie fuhren Rad, weil sie kein Geld für ein Auto hatten, wir radeln, weil ein Auto in der Stadt nutzlos geworden ist. Die Radfahrer fahren durch den Westerpark Richtung Sloterdijk. Ich hatte nie bemerkt, dass dieser Teil des Bretten eine wichtige Pendlerroute ist. Im Westerpark begegnen die Radfahrer Läufern in allen Formen und Farben. Daneben die Natur: Reiher sitzen auf Nestern hoch oben in den Bäumen, Ringschwanzsittiche brüten. Möwen auf Nahrungssuche bedecken die Grünflächen. Am Waternaturgarten gibt es einen Tunnel, der zum Kinderspielplatz ‚Het Woeste Westen‘ führt. Dort sehe ich die ersten Skulpturen von Herbert Nouwens. Sie stehen auf beiden Seiten des Tunnels wie robuste Wächter. Trotz ihrer Größe drängen sich die Skulpturen nicht in den Vordergrund. Sie heben sich von der Umgebung nur wenig ab. Sie passen gut zu den großen Steinen der die Ökopassage, die Tiere durch den Tunnel führen muss. Sie passen auch zu dem gebräunten Mann, der Springübungen macht. Die Skulpturen haben menschenähnliche Größe und besitzen organische Formen, was gut mit dem Westerpark korrespondiert. Aus dem Wassergarten höre ich einen Grünspecht „lachen“. Dieser Ort gefällt mir. Die Brettenroute ist mit grünen Punkten auf dem Asphalt markiert. Folgt man den Punkten, so radelt man weiter zwischen Kleingärten sowie den Rückseiten unwirtlicher Bürosiedlungen Richtung Sloterdijk. Vorbeiziehende Radfahrer, passierende Läufer, singende Vögel: Singdrossel, Rotkehlchen, Zaunkönige. Ein Sperber schießt durch die Bäume. Ich sehe die Skulptur von Herbert Nouwens erst im letzten Moment am Rand der Schrebergärten. Sie zeigt wieder eine große Zurückhaltung. Kein auffälliges sich in den Vordergrund spielen, sondern einfach eine Ergänzung der Umgebung, ein Akzent für diejenigen, die gut beobachten und etwas entdecken wollen. Und zur gleichen Zeit ist es ein Treffpunkt für die Schrebergärten, wie eine Wasserpumpe. Ich bin sehr beeindruckt von dem alten Dorf Sloterdijk. Hier steht eine Skulptur, die wie ein Baumstumpf aussieht, wie der Stamm eines riesigen Feigenbaumes aus dem Regenwald. Die Skulptur steht im Wasser, sie ist umschlossen von Erlen und Pappeln. An diesem nebligen Morgen verleiht das Objekt dem Ort eine mystische Atmosphäre. Organisch und einfach nicht von dieser Welt. Es ergibt sich ein schöner Kontrast zu der düsteren, starren Skulptur „Ode an den verschwundenen Bauern“ von Karel Gomes, die zwanzig Meter entfernt steht. Es folgt der Arlandaweg. eine zu breite Straße zwischen Schule und nicht sehr schöne Bürogebäuden. Zugig, immer den Wind entgegen, ein Gefühl der Entmutigung stellt sich ein. Nouwens hat hier düstere, kantige Figuren aufgestellt, die den nüchternen Aspekt der Umgebung betonen. Glücksgefühle stellen sich nicht ein. Nach Sloterdijk ist plötzlich Jedermann weg und man ist nur mit den grünen Punkten auf dem Asphalt und den Autos auf dem Haarlemmerweg unterwegs. Verkehrslärm erinnert uns an das Rauschen des Meeres.
Eine fröhliche Locke von Nouwens auf den Sportfeldern hellt die Stimmung auf, die den Arlandaweg in Mitleidenschaft gezogen hat.
Die Bretten werden nach Westen immer wilder und seltsamer. In den Gräben sind Enten, getuftete Taucherenten und umwerbende Haubentauchern. Die Skulpturen werden zu Leuchttürmen im einsamen Ödland. Leuchtfeuer auf dem Weg zur Küste. Sie machen den fast bedrohlichen Raum intimer. Sie sind hier weniger zahlreich. Die Stadt liegt hinter uns. Bei Halfweg winkt mir die letzte Skulptur zum Abschied. Die Dünen winken.
Klicken Sie oben rechts auf der Karte auf das Vollbild-Symbol, um die Karte in GoogleMaps zu öffnen.
BRETTENSUITE
Jeroen Damen (www.mandarte.nl)
Wer mit dem Zug vom Hauptbahnhof Amsterdam Central nach Amsterdam Sloterdijk fährt, sieht links vom Fenster aus einen großen rostbraunen Koloss. Ein weiterer befindet sich in der Nähe. Es sind Skulpturen des Künstlers Herbert Nouwens. Sie stehen dort nur für sich. Sie befinden sich an einem Wander- und Radweg von Amsterdam nach Halfweg, dem “Brettenpad”. Dort stehen weitere Skulpturen von Herbert Nouwens. Das erfordert eine Erkundung.
Das Brettenpad ist ein kombinierter Rad- und Wanderweg, der im Asphalt grün mit weißen Punkten markiert ist. Er führt von Amsterdam West nach Halfweg. Der Radweg befindet sich links von den Punkten, rechts davon verläuft ein Wanderstreifen mit vielen Seitenwegen durch die angrenzende Natur. Der Weg ist nach einem ehemaligen Gasthaus westlich von Amsterdam benannt: “Het Huis Bretten”. Nach der Beschreibung der Stadt Amsterdam ist dies die letzte „städtische Wildnis“. Die Vegetation ist typisch niederländisch: Weiden in verschiedenen Sorten und Größen, Erlen, Birken, Eichen, Liguster, Hartriegel und Weißdorn. Auch seltene Arten wie die Kuckucksblume, die Schilforchidee und die Sumpf-Milchdistel, eng miteinander verwoben, im Wind gebogen, im Sommer voller Bienen und anderer Insekten. Steinplatten entlang des Weges erklären die hier vorkommende Vegetation und das Tierleben. Ein wahres Paradies für die Amsterdamer Stadtbewohner und alle anderen Outdoor-Enthusiasten. Es gibt aber nicht nur Grün. Die “Urbanität” dieser Wildnis wird durch die Lage von Industriestandorten entlang des Pfades sowie durch ausgedehnte Sportplätze und großflächige Kleingartenkomplexe deutlich. Dort bleibt die Stadt unvermindert im Grünen. Holz- und Steinhäuser aller Formen und Größen, umgeben von manchmal verlassenen und manchmal gepflegten Gärten, die von Hecken und Zäunen aller Art begrenzt werden. Am gesamten Weg entlang verläuft die Eisenbahn. Die erste Eisenbahnlinie in den Niederlanden, von Amsterdam nach Haarlem, wurde jetzt durch eine moderne, stark befahrene Linie ersetzt. Alle paar Minuten rauscht ein blauer „Sprinter“ oder gelber Intercity vorüber. Einer der ältesten Lastkahnkanäle der Niederlande trennt Eisenbahn und Autobahn nach Haarlem vom Brettenpad ab. Der Verkehr befindet sich immer hinter dem Grün. Für das Auge eine blühende Wildnis, für das Ohr eine hörbare Stadt. Die hier besprochenen Skulpturen werden vom Bildhauer Suiten genannt. Suite. Das Wort kommt aus dem Französischen. „Suite par …” bedeutet “gefolgt von …”. Der Begriff ist hauptsächlich aus der Musik bekannt. Eine Texttafel macht deutlich, dass alle Suiten selbst Teil der übergreifenden “Brettensuite” sind, die Skulpturen miteinander zusammenhängen.
SUITE 1
EINE ÜBERRASCHENDE ENTDECKUNG
Ein mannshoher H-Träger aus Stahl steht senkrecht auf einer Stahlplatte im Gras. Eine gebogene Eisenplatte lehnt sich daran. Diese Platte ist so geformt, dass sie gleichzeitig eine Rückwand und eine Art Dach bildet. Die Platte scheint vom Bug oder der Heckpartie eines Schiffes zu stammen. Eine Seite der Platte ist wellig, als ob sich das Schiff irgendwo festgefahren hätte, während die andere Seite noch relativ glatt ist. Wer weiß, das Teil lag irgendwo auf dem Hof einer Abbruchfirma. Der Bildhauer kombinierte das Segment mit dem aufrechten H-Träger auf einer Grundplatte, so dass ein Teil der Platte in eine horizontale Position kam, während der gerade Abschnitt eine Art Rückwand bildet. Dank dieser außerordentlich einfachen, aber überzeugenden Intervention gibt es jetzt einen Unterschlupf, den Archetyp eines Hauses, die Schutzhülle einer Höhle und eine Spielhütte aus einem Kindheitstraum. Als hätte ein riesiges Kind ein Paar versehentlich gefundener Metallteile in einem wackeligen Gleichgewicht aufgestellt, wie ein Kind, das mit Holzklötzen spielt und entdeckt, dass die instabile Konstruktion unweigerlich umfallen wird. Aber der Bildhauer hat die Kindheitsphase technisch überwunden, er kann schweißen. Dies bedeutet, dass er all seine Kindheitsträume und andere ungezügelte Fantasien in einer Skulptur verwirklichen kann. Dieses Stahltraumbild gibt vor, ein echtes Haus zu sein und keine nutzlose Form, die vom Menschen geschaffen wurde. Der Betrachter bemerkt, dass er sich durch den sicheren Raum angesprochen fühlt. Dass er hineingehen möchte.
SUITE 2
‘EN SUITE’
direkt gegenüber dem Westergasterrein befindet sich Suite 2. Die Größe von Suite 2 liegt außerhalb des menschlichen Maßstabs. Man muss wirklich aufschauen, um die gesamte Skulptur sehen zu können. Wenn man auf der Betonplatte unter der Skulptur steht, erreicht man mit Mühe das untere Drittel. Suite 2 ist auf einer Lichtung neben dem Eisenbahnviadukt positioniert, diagonal gegenüber von Suite 4. Der Weg dazwischen führt unter der Eisenbahnlinie an Suite 3 vorbei. Es entsteht der Eindruck, dass es sich bei der Skulptur um eine menschliche Figur handelt, eine standhafte Riesin. Das liegt daran, dass wir in der Figur drei Abschnitte des menschlichen Körpers erkennen können: Beine, Rumpf und Kopf. Natürlich entsteht eine Skulptur in einem Schaffensprozess. Die Form wird gefunden, indem während des kreativen Prozesses unzählige Entscheidungen getroffen werden. Eine Skulptur entsteht durch Ideen und Assoziationen, aus dem Rhythmus und dem Gefühl, das der Bildhauer auf dem Weg während seiner Arbeit entwickelt. Die Metallstücke wurden nicht zufällig zusammengesetzt, aber das Ergebnis wurde bei jedem Schritt des kreativen Prozesses neu bewertet, um letztendlich zu einer starken Komposition zu gelangen. Es versteht sich von selbst, dass das Ergebnis erheblich vom ursprünglichen Plan abweichen kann.
SUITE 3
FRIEDHOF
Der Weg zwischen Suite 2 und 4 verläuft durch den Eisenbahnviadukt. Die Innenseiten des Tunnels werden durch dicke Stämme gebildet, die von Bäumen aus der „städtischen Wildnis“ stammen. Dieser Weg heißt Overbrakenpad und führt an Feldern mit Neuanpflanzungen und einem Streichelzoo vorbei zum St. Barbara Friedhof. Dort, in einem runden Blumenbeet neben dem Auditorium, direkt hinter dem Eingangstor, befindet sich Suite 3. Die Skulptur besteht aus flachen Stahlbändern, die auf wundersame Weise hochgehalten werden, wie dünne Luftströme, die nach oben wirbeln. Da die Bänder einem kleinen Kreis entspringen, erinnern sie an Rauchschwaden. Nach oben wird die Aufwärtsbewegung verlangsamt, einige Stränge knicken ein und vermischen sich mit anderen. Aus Gründen der Stabilität müssen sie sich oben treffen und gegenseitig unterstützen, um nicht auseinander zu fallen, aber der Kontakt wird auf ein Minimum beschränkt. Nicht alle Bänder besitzen die gleiche Länge. Einige von ihnen erreichen nicht einmal die Hälfte der Höhe. Hier und da wurden lose Enden zusammengeschweißt. Seltsamerweise erscheinen die Bäume mit ihren massiven Kronen viel starrer zu sein als die emporstrebenden Stahlbänder. Obwohl die in diesem Bereich gerade ihre Beweglichkeit verloren haben.
SUITE 4
STADTWILDNIS
Diese Skulptur befindet sich an einem multifunktionalen Ort. Die Strecke verläuft oben auf dem Deich entlang der Nordseite des Feldes. Am Hang wurde ein Sandplatz mit allen Arten von Trainingsgeräten für Erwachsene gebaut. Dieser Trainingsplatz muss Jahre nach der Aufstellung von Suite 4 entstanden sein. Es ist schön, dass die Skulptur sich hier unter Menschen befindet, aber ein bisschen mehr Platz hätte ihr gut getan. Der Künstler hat Suite 4 diagonal gegenüber – und in Bezug zu – Suite 2 platziert. Dieser sandige Platz verlangte nach einer soliden skulpturalen Antwort. Dieser Teil des Brettenpads ist noch keine echte Wildnis. An der Skulptur lässt sich keine klare Vorder- oder Rückseite erkennen. Alle Ansichten sind gleichwertig aber völlig unterschiedlich. Aus Südwesten betrachtet sieht man 6 Stahl-H-Träger von etwa vier Metern Höhe. Sie stehen aufrecht auf einer Betonplatte, die im Gras versenkt ist. Die Stahlträger sind schief angeordnet. Fünf mehr oder weniger vertikal, einer hängt diagonal durch die Skulptur. Große Stahlplatten, gekräuselt und zerknittert, hängen zwischen den Trägern und erinnern an alte Kohlensäcke. Aus der Ferne ähnelt die Skulptur einem wandelnden Insekt auf hohen Beinen. Um die Form zu erfassen, muß die Skulptur von allen Seiten betrachtet werden.
SUITE 5
ZUTEILUNGSGÄRTEN
Suite 5 befindet sich am Rande des Weges, der in den Kleingartenpark führt, kurz nach dem Eingang auf der rechten Seite. Der Weg verläuft diagonal nach links zwischen den Parzellen. Ein weiterer Pfad krümmt sich nach rechts. Suite 5 befindet sich genau vor der Gabelung. Die Skulptur hat vier Beine, keines ist gleich dick oder dünn, breit oder zerknautscht. Die Beine tragen eine Menge Stahl, der oben unachtsam zerknittert zu sein scheint. Als ob die grashüpferartigen Beine unter dem Gewicht nachgeben wollten, wurden schnell ein paar weitere Diagonalen eingeschweißt, um die Gefahr eines Zusammenbruchs abzuwenden. Zerbrechlich, wackelig, kopflastig, improvisiert, unausgeglichen, aber überzeugend. Ohne Kenntnis des Materials, ohne Gefühl für Gewicht, Masse, Konstruktion und Tragfähigkeit wäre diese Konstruktion längst zusammengebrochen.
SUITE 6
BEOBACHTEN
Suite 6 befindet sich am Rande eines Spielplatzes inmitten des Kleingartenkomplexes. Kleingärten sind hier nicht mit Gemüse oder Blumen in ordentlich gepflegten Beeten bepflanzt. Dieser Komplex ist ein Park voller grüner Grundstücke. Jedes Grundstück besitzt ein Fantasiehaus, in der Regel eine Holzkonstruktion. Die Gärten werden durch Bäume, hohen Pflanzen, Hecken oder hölzerne und strohgedeckte Zäune umgeben. Grünflächen, Gartentische und Liegestühle überall. Kein Platz zum Arbeiten sondern zum Entspannen. In der Mitte des Gebiets befindet sich ein Gewächshaus, in dem im Sommer Pflanzen verkauft werden. An der ruhigsten Stelle auf der anderen Seite des Spielplatzes befindet sich Suite 6. Die Statue ist nicht sehr groß, etwas größer als eine durchschnittliche Person. Sie taucht plötzlich auf, wenn man den Weg von Süden heraufkommt. Der Mantel eines Pilgers, daran erinnert die Skulptur. Die Vorderseite ist offen, ebenso die Oberseite, dass man hineintreten kann. Rück- und beide Seiten sind geschlossen. Diese vermitteln am meisten den Eindruck eines Kleidungstückes, da sie eine Dreiteilung aufweisen: Kopf, Rumpf mit Beinen, Füße. Die linke Seite wölbt sich mit einer Falte nach innen. Wenn sich eine mannshohe Gestalt in diesen Umhang wickeln würde, würde dieses Faltenstück wie auf mysteriöse Weise vor ihr Gesicht fallen. Umhüllung und Schutz für die eingehüllte Form. Ein Beispiel für Kontemplation.
SUITE 7
SAMT
Ein dreieckiger Rasen, der auf einer Seite von einem Graben und auf den beiden anderen von Wegen entlang grüner Hecken begrenzt wird. Ruhe ist hier garantiert und ermöglicht eine genaue Betrachtung. Der Ort ist friedlich. Die Skulptur steht wie ein Totempfahl am Rande eines primitiven Dorfes. Die Skulptur fängt hier das volle Licht ein und kann ihre Plastizität zeigen. Erst wenn man sie auf dem Gras umrundet, stellt man fest, wie unterschiedlich die Ansichten sind. Die Skulptur ist mehr als 2,5 m hoch. Sie überragt den Betrachter ohne ihn zu überwältigen. Dies ist auf die schlanke Säulenform zurückzuführen, die grob in zwei Teile geteilt ist. Der untere Teil ist fast doppelt so hoch wie der obere. Die Teilung liegt ungefähr auf Augenhöhe. Das Verhältnis zwischen Höhe und Umfang entspricht dem unseres eigenen Körpers. Denkt man sich in Stahl, nimmt die gleiche Haltung ein, dann wird man sich so groß wie die Skulptur fühlen.
Der braune, rostfarbene Stahl will nicht Holz sein wie die ihn umgebenden Bäume. Stille herrscht während es ringsherum bläst und wogt, sich biegt und wieder aufrichtet. Dieser Stahl, so wie auch die anderen Suiten, wurde zum Stillstand gebracht, nachdem er seine Form gefunden hatte. Er sieht nicht aus wie harter Stahl sondern wie Samt. Es ist Stahl, den wir nicht kennen. Er ist warm. Er hat eine Haut bekommen, ist nicht länger eine Konstruktion.
SUITE 8
NICHT-FIGURATION
Suite 8 steht im Wasser. Sie ist zuerst überhaupt nicht sichtbar. Die Wasserstelle befindet sich an der erweiterten Biegung eines Grabens, an der Ecke der Kleingärten Richtung Sloterdijk. Der Graben ist vollständig mit hohem Schilf und Sträuchern bewachsen, die die Sicht behindern. Glücklicherweise hat der Parkservice einen Weg zu einem Überlauf am Rande des Wassers frei gemacht. Die Skulptur sieht wie der Bug eines Schiffes aus, auch weil Zahlen in die Haut geprägt wurden, die die Höhe über der Wasserlinie angeben. Sollte es sich um einen Bug eines Schiffes handeln, so wurde er zerknittert, zusammengedrückt und abgeflacht. Die ursprüngliche Form ist kaum noch zu erkennen.
Wer weiß, vielleicht hat der Künstler auch einen Teil davon mit seinem Schneidbrenner abgetrennt. Es scheint so, weil der hintere Teil ausgefranst wirkt. Möglicherweise geschah dasselbe unter Wasser, weil dieser Graben wirklich nicht so tief ist, wie die Zahlen zeigen. “Ein Denkmal für die Schifffahrt”. So wird jedes Schiff irgendwann enden. War es ein U-Boot? Hat eine Überladung diesen Koloss zerquetscht? Ist das ein Grab im Wasser?
SUITE 9
SCHWIMMENDER WINKEL
Suite 9 befindet sich am Straßenrand neben dem Radweg, direkt gegenüber von einem Büroturm, der nach den Prinzipien des organischen Bauens gebaut wurde. Trotzdem kann die Tatsache nicht verborgen werden, dass wir in einer kühlen Steinwüste am Rande der Stadt angekommen sind. Dies ist ein Ort, der von wirtschaftlicher und finanzieller Effizienz beherrscht wird. Asphalt, Betonwege, Eisenbahnschienen. Bürotürme aus Stahl, Ziegelsteinen und Glas, alle auf die nutzbarste Form reduziert, den rechteckigen Raum. Nouwens platzierte zwei quadratische Säulen von etwa vier Metern Höhe diagonal gegenüber. Aus zwei gleichen, aber kürzeren Säulenstücken wird ein rechter Winkel gebildet. Dieser Winkel wurde auf den senkrechten Säulen so platziert, dass er an den Seiten übersteht. Das Ergebnis scheint ein geometrisches Ganzes zu bilden. Es könnte die Ecke eines Gebäudes sein, die über zwei Pfähle geschoben wurde. Oder die schwimmende Ecke eines Gebäudes ohne Wände. Die aufrechten Säulen sind leicht verjüngt. Die Skulptur beginnt zu leben, weil die winkelförmige Platte nicht an geraden Winkeln ausgerichtet wurde.
SUITE 10
TANZBLÖCKE
Suite 10 besteht aus einer Gruppe von vier gestapelten Stahlblöcken. Sie stehen direkt vor den schweren Eisenbahnviadukten, über die die Züge von Sloterdijk nach Amsterdam Süd, Schiphol und darüber hinaus fahren. Der Radweg führt unter den Viadukten in Richtung Haarlem weiter. Rechts zum Bahnhof Sloterdijk befindet sich ein breiter Fußgängerweg. An der Ecke dieser Kreuzung, an einem erhöhten Hang, befinden sich zwei rechteckige Platten aus hellgrauem Beton mit einer eisernen Kante. Sie sind Bestandteil von Suite 10. Sie erheben die Skulptur über die Grünfläche. Die vier Stapel sind unterschiedlich groß, aber im Durchschnitt ungefähr so groß wie ein Mensch. Sie sind zu hoch um darüber zu steigen. Die Blöcke besitzen eine quadratische Grundform, sind aber keine Würfel. Drei Stapel werden aus zwei, ein Stapel drei Blöcken gebildet. Im Handumdrehen hat der Betrachter einen Überblick über die gesamte Arbeit. Sofort entsteht eine Assoziation: Osterinsel. Diese Blöcke mögen nicht so groß sein, aber sie haben dieselbe Haltung und Massigkeit.
Eine Gruppe. Zwei Grundplatten halten sie zusammen. Sie wirken wie ein Sockel: Sie bringen die vier Stapel zu einer Gruppe zusammen und geben der Skulptur einen eigenen Platz in der Umgebung. Dieser Ort kann vorübergehend sein. Die Beziehung zur Umwelt ist nicht so stark, als ob die Stapel aus dem Boden kommen würden. Die Blöcke scheinen aus der Natur zu stammen, weil sie so unregelmäßig sind, aber Stahlblöcke kommen in der Natur nicht vor. Hier stehen sie als Gegengewicht zu den ovalen vorgefertigten leblosen Säulen der Viadukte. Das Auge, das nach Ähnlichkeiten sucht, stellt fest, wie unterschiedlich die vier Stapel sind. Um ihre Individualität zu würdigen, müssen alle vier getrennt betrachtet werden. Von der Seite gesehen sind die Stapel nicht nebeneinander angeordnet. Es sind zwei Zweierreihen, wobei die rechte der linken einen Schritt vorauseilt. Diese Blöcke sind aus massivem Stahl. Das bedeutet ein unvorstellbares Gewicht. Wenn eine durchschnittliche Person 75 kg wiegt, wiegt die gesamte Skulptur mehr als 300 Personen. Das Gewicht von mehr als 70 Personen wird in einem Stapel komprimiert!
SUITE 11
WINDMÜHLEN
Das Brettenpad verläuft hier immer noch durch den Bürobereich. Überall Hochhäuser, Stein, Betonfliesen, Glas und Stahl. In der Mitte eines kargen Ödlands am Rand zwischen Radweg und Autobahn, befindet sich Suite 11. In dieser Umgebung lässt sich die Größe zunächst nicht schätzen. Die in Metern ausgedrückte Höhe sagt für sich nicht viel aus: Die Größe ist relativ zur Umgebung, zum Ort, zu den Gebäuden. Die einzige Größe, die sich immer verwenden lässt, ist die des menschlichen Körpers. Suite 11 ist ungefähr dreimal so hoch wie ein Mensch groß ist. Man muß den Kopf weit nach hinten neigen, um das Oberteil richtig sehen zu können. Die Skulptur macht aufgrund ihrer offenen Form einen filigranen Eindruck, behauptet sich aber in dieser Ebene ohne Leben gut. Vier schwere H-Profile stehen auf einem Fundament aus losen Blöcken in einem fast rechtwinkligen Quadrat. Diese vier Pfosten werden unten und oben durch einen Rahmen aus etwas dünneren aber immer noch ziemlich kräftigen Profilen perfekt in einem Quadrat gehalten. Alle Profile sind durch kräftige Schweißnähte verbunden, keine Schrauben stecken in den vorhandenen Löchern. Auf den vier Pfosten liegen massive Stahlblöcke. Aus der Ferne sieht man, dass sich auf diesen Blöcken Ösen zum Heben befinden. Die Blöcke sind wie Windmühlenblätter angeordnet, das heißt, sie drehen sich um ihre Längsachse im Uhrzeigersinn und folgen damit der Richtung der Kompassrose. Verglichen mit der Offenheit der Konstruktion, durch die sich von allen Seiten ein Blick auf die Umgebung bietet, wirken die Blöcke massiv. Weil sie oben auf der Skulptur plaziert wurden, gewinnen sie noch mehr an Bedeutung: Die Pfosten sind nur die Träger der Blöcke, die Blöcke sind das Wichtige, sie sind das, worum es geht.
SUITE 12
ENDLOS
Das Brettenpad verläuft nach Suite 11 geradeaus weiter und biegt dann links nach einem großen Bürogebäude in die Haarlemmervaart ab. Direkt vor dem Wasser steht die Skulptur im Gras vor der Ecke eines rechteckigen Gebäudes mit Flachdach, einem Hotel. Das Gebäude wirkt tödlich langweilig, aber das Kunstwerk stört das nicht. Es ist schwer abzuschätzen, wie hoch die Suite ist, aber sie erhebt sich über das Hotel. Die Skulptur besteht aus vier Segmenten von ca. 2 m Länge. Sie wirkt kräftig. Geschlossen. Solide. Es gibt einen Innenraum, aber er lässt sich nicht betreten. Eine Skulptur in dieser Umgebung muss Größe besitzen, um bestehen zu können. Und sie muss ein Volumen haben. Beobachten Sie, wie Laternenpfähle vor Gebäuden unsichtbar werden. Das sollte dieser Skulptur nicht passieren. Das Fußteil der Suite wirkt beeindruckend. Trotz seiner geringen Größe kann es diesen Koloss tragen. Eine Doppelplatte, die kaum über die Säule herausragt. Mit den vier hervorstehenden Lippen sichert es nicht nur die Stabilität, sondern hebt auch die gesamte Skulptur vom Boden ab.
SUITE 13
“KUNST = FÄHIGKEIT”
Sie gehen am Rand eines Industriegebiets entlang. Das Brettenpad ist hier gepflastert. Neben dem Radweg befindet sich ein unbefestigter Seitenstreifen, danach eine Kopfsteinpflasterstraße. Auf der anderen Seite der Strasse befinden sich Grundstücke mit Büros und Werkstätten umgeben von Rasenflächen und Parkplätzen. Die Straße macht eine Rechtskurve und ein Stück weiter eine rechtwinklige Kurve nach links. An dieser Ecke befindet sich ein Teich und davor eine freie Grasfläche. Hier befindet sich Suite 13. Die Grasfläche an dieser Ecke ist an drei Seiten von vorbeifahrenden Autos und starkem Güterverkehr umgeben. Entlang der vierten Seite, links von vorn betrachtet, verläuft das Brettenpad mit seinen vielen Radfahrern. Wie schön ist es, wenn man die Suite bereits aus der Ferne inmitten all dieser Unruhe und Langeweile erkennen kann. Die Form besteht aus einem dreidimensionalen Oval, das auf dem Boden liegt, wobei ein leerer Innenraum von Bögen umspannt wird. Einer der Bögen scheint sich nach oben entfernen zu wollen, aus dem Oval heraus. Die Spannung war zu viel für ihn. Aber nein, es gibt Berührungspunkte, die Bögen berühren sich in mehreren Momenten. Sie kollidieren nicht miteinander, hinterlassen bleibende Spuren in der Luft. Es gibt kein System oder keine Struktur darin, alle Bewegungen scheinen zufällig zu sein oder von einer unsichtbaren Hand geleitet. Die Schlaufen des Knäuls biegen sich letztlich zu ihren Enden zurück, zurück zum inneren Kern, wo sie entstanden sind. Die Skulptur ist so groß, dass eine Person hineinpasst: sie könnte darin sitzen wie in einem Auto. Sie wäre dann von allen Seiten umschlossen. In der Tat befände sich das Dach eine halbe Körpergröße darüber.
SUITE 14
QUALITÄT
Direkt an der Ecke einer Kreuzung, am Anfang des Pfades befindet sich Suite 14. Stark befahrene Straßen befinden sich in der Nähe, kein Ort, an dem man lange verweilen möchte. Vier hohe Beine, zweieinhalb Mal so hoch wie ein Mensch, mit einer Platte darauf, auf der sich etwas befindet. Die Beine stehen ungefähr drei Fuß voneinander entfernt. Im Vergleich zu ihrer Länge erscheinen sie dünn. Sie müssen viel tragen, das ist klar, weil sie an einigen Stellen verstärkt worden sind. Dort wurde ein zusätzliches Stück Metall mit dem Profil verschweißt. Sie scheinen sich auch leicht durchzubiegen. Da sie so weit auseinander stehen, kann man zwischen den Beinen hindurch schauen und die Weiden und das Grün dahinter sehen. Der Gegenstand oben besitzt eine einfache Form. Nicht, dass sich vom Weg aus genau erkennen ließe, worum es sich handelt, aber der Gegenstand ist groß und sperrig genug, um die gesamte Konstellation wackelig erscheinen zu lassen. Es sieht so aus, als könnte das Ding einfach herunterfallen. Aber aufgrund seiner Position auf den Beinen ist der Gegenstand nicht zugänglich und deshalb nur schwer zu studieren. Nach den Zahlen zu urteilen, oben wurde eine Hebeöse angeschweisst, handelt es sich um den Bug eines Schiffes. Dies sind die gleichen Zahlen wie bei Suite 8, die erhaben auf der Haut angebracht wurden. Es ist also einen abgetrennter Schiffsbug auf der Seite liegend hoch oben auf vier Beinen. Die Ober- und die Rückseite wurden zugeschweißt. Indem ein Stück eines Schiffes hoch über den aktuellen Wasserspiegel und hoch über die Erde angehoben wurde, ist ein Denkmal entstanden. Ein Denkmal für ein Schiff, das seinen Ruheplatz auf der Ebene gefunden hat, auf der es früher gesegelt ist. (einige Meter tiefer als der aktuelle Meeresspiegel).
SUITE 15
SCHÖNHEIT
Aus hohem Gras zwischen mehr als mannshohen Bäumen, hauptsächlich Birken und Weiden mit längeren Stämmen, erhebt sich ein Stahlturm, ein dünner Pier, ein geometrischer Rahmen. Das erste Treffen ist oft entscheidend. “Wie es sich anfühlt” ist entscheidend. Dieses Gefühl entsteht in uns, ohne die Skulptur berühren zu müssen. Es gibt eine innere Offenheit, ein uns eigenes Erkunden. Treffen bedeutet Testen, Prüfen und Beurteilen. Wenn das Treffen erfolgreich verlaufen ist, sind wir bereit, die Skulptur näher kommen zu lassen und sie in unseren eigenen inneren Raum aufzunehmen, der für herzliche Freundschaften reserviert ist. Zwei Schritte breit, zwei Schritte tief, viermal so hoch wie ein menschlicher Körper. Dies sind die Abmessungen der stählernen Konturen. Die Skulptur wurde durch Zusammenschweißen von Stäben unter Befolgung eines mehr oder weniger vorgefassten Plans erstellt. Der Plan war weder rein geometrisch noch vollständig in einer Zeichnung festgehalten. Es ist unmöglich, eine Zeichnung als Konstruktionszeichnung für Suite 15 zu erstellen. Zu viel wurde improvisiert, um von einem detaillierten Plan oder Konzept zu sprechen. Die Tatsache, dass der Bildhauer die Stäbe nicht mit einem farbigen Lack überzogen hat, sondern sie rosten ließ, ist ebenfalls eine bewußte Entscheidung. Dadurch wirkt die Skulptur wie etwas Natürliches und präsentiert sich nicht als menschliches Artefakt. Das Werk erkennt seinen eigenen Ursprung als Material aus dem Boden, der Boden als Nährboden für die Natur und auch als Nährboden für die Kunst. Größe ist das Erleben von Raum. Der Raum befindet sich innerhalb der Struktur. Er ist auch die Leere unter freiem Himmel, den die Suite einnimmt. Dieser Raum lässt sich vor allem aus der Ferne erkennen, wenn man sieht, wie die Suite die Baumwipfel überragt. Der Raum im Inneren lässt sich spüren, steht man unten in der Suite.
SUITE 16
HERAUSFORDERUNG
Auf dem Weg nach Norden kommen wir über eine Brücke zur Suite 16. Aus der Ferne sieht man zunächst die rechte Seite der Skulptur, die aus dem Schilf herausragt. Suite 16 befindet sich rechts vom Weg auf einem schmalen Streifen zwischen dem Asphalt und dem breiten Kanal entlang des Kleingartenkomplexes. Der Kanalrand ist mit Schilf, Seggen, jungen Birken und wilden Gräsern bewachsen. Die Betonplatte, auf der die Suite steht, ist kaum wahrnehmbar. Geht man auf dem Weg vorbei, bis man direkt davor steht, so befindet man sich mitten auf einer Drei-Wege-Kreuzung: Das Brettenpad verläuft vor der Skulptur und ein Radweg trifft rechtwinklig dazu auf die Skulptur. Das ist die Frontalansicht. Andere Assoziationen entstehen. Etwas Vogelartiges aufgrund der diagonalen Haltung mit Kopf und Flügeln am Boden. Manchmal sieht man Schwäne oder Enten mit dem Kopf zwischen den Federn ruhen. Es ist nicht überraschend, hier wegen des breiten Schilfstreifens an einen Wasservogel zu denken. Längliche Stahlstücke ragen schräg hervor und werden durch scharf gefaltete Stahlstreifen zusammengehalten, die bis zum Boden reichen. Flache Blechstücke wurden diagonal am Boden gestapelt um einen Stützsockel zu bilden. Diese sind mit einer Platte verschweißt, die auf Eisenträgern ruht. Diese Träger selbst liegen auf der Betonplatte. Sie heben die Skulptur so an, dass sie sich gerade über Boden befindet.
SUITE 17
INNERE NOTWENDIGKEIT
Suite 17 befindet sich neben dem Radweg entlang der Australia Strasse. Eine Bake und ein Stopsignal: Hier überqueren wir das Brettenpad. Es ist das Ende der Stadt. Der Anblick der Skulptur ist überwältigend. Auf einer langen Stahlgrundplatte liegen vier riesige Felsbrocken. Neben jedem befindet sich ein massiver Stahlblock. Der erste Felsbrocken ist der niedrigste. Er befindet sich am Rand der Grundplatte. Der zweite Felsbrocken ist etwas größer und höher, der dritte Felsbrocken der größte und höchste. Der vierte danach ist wieder etwas kleiner und niedriger. Es folgt der letzte Stahlblock, unter dem die Bodenplatte etwas länger hervorsteht. Der riesige Koloss ruht auf vier flachen runden Stahlsockeln, zwei mal zwei, die wiederum auf zwei Betonplatten unter den Enden der Bodenplatte stehen. Koloss ist ein guter Ausdruck: Die Bodenplatte ist über 8 Meter lang, aber nur 1,20 Meter breit. Ein schlanker tragender Körper. Die vier Felsbrocken erwecken den Eindruck einer Fracht, die von vorne nach hinten gestapelt wurde. Die vier Stahlblöcke dazwischen erinnern an Schornsteine oder die Konturen eines Wagens. Die vier Stahlsockel heben den Koloss 30 cm über den Boden an, so dass er auf den Wellen des Meeres oder auf hohen Rädern über Schienen getragen zu werden scheint. Irgendwie stimmen alle Proportionen. Die Bodenplatte sollte nicht dünner sein, die Stahlblöcke nicht höher, die Felsbrocken nicht größer oder kleiner. Da all diese Proportionen aufeinander abgestimmt sind, wirkt die Suite harmonisch. Sie ist in allen Punkten ausgeglichen.
SUITE 18
SOZIAL RELEVANT
Die Natur wird rauer, die Wildnis auf beiden Seiten des Weges nimmt zu. Umgeben von hohen Bäumen und wilden Sträuchern befindet sich Suite 18, die Schwester von Suite 7. Es handelt sich um eine detailreiche Säule. Nicht irgendeine Säule, sondern eine aus verbeultem, angeschlagenem und zerknittertem Blech voller Spuren unklaren Ursprungs, Beulen, Ausbuchtungen, Schweißnähte. Von links betrachtet zeigt sich die Stahlsäule als völlig andere Skulptur. Hier sehen wir all die offenen Nähte, wo die Platte übereinander gefaltet wurde und sich überlappt. In jedem Fall befindet sich der kräftigste Teil im oberen Bereich. Dort hat der Körper auch mehr Umfang, obwohl der Unterschied zum unteren Teil nicht sehr groß ist. Die Skulptur ist weder offen noch geschlossen, sie ist hohl und findet ihre Aufwärtskraft in den Falten des Stahls. Eine Baugruppe aus Stahlblechen, die ihre Tragfähigkeit und ihr Gleichgewicht untereinander prüfen und demonstrieren. Die Rückseite unterscheidet sich völlig von der Vorder- oder den Seiten. Gehen Sie darum herum und staunen Sie, welche Aspekte zusammen in einer Skulptur vereint sein können.
SUITE 19
OEUVRE
Suite 19 befindet sich links vom Weg parallel zur Eisenbahn. Sie steht an einem abfallenden Hang am Graben. Die Betonplatte, auf der die Skulptur ruht, weicht leicht in Richtung des Grabens zurück. Der sich daraus ergebende Effekt lässt sich nicht erwarten: man hat den Eindruck, dass die Suite horizontal ausgerichtet wurde, aber beim genau hinschauen stellt sich heraus, dass es nicht so ist. Der Ort trägt zur falschen Orientierung bei: alles ist waagerecht: Der Graben, der Radweg, die Eisenbahn, die Freileitung, die Wohnhäuser in der Ferne. Suite 19 ist eine Skulptur aus Stahlplatten. Flache Platten unten, aus einem Kreissegment geschnitten. Im oberen Bereich gebogene Streifen aus unterschiedlichen Platten herausgetrennt. Die Blechplatten dazwischen wurden diagonal von rechts unten nach links oben angeordnet, die darüber liegenden Streifen verlaufen von links unten nach rechts oben. Zwei Richtungen, von denen die obere von der unteren gehalten wird. Die gesamte Konstruktion ruht auf vier Beinen, die mit einem offenen Rahmen aus Eckprofilen verschweißt wurde. Die Skulptur scheint das Gleichgewicht zu verlieren. Der Rahmen, der die sie trägt, ragt weiter nach rechts hinüber, um ein Umkippen zu verhindern. Schließlich befindet sich das größte Gewicht oben rechts. Die Skulptur, die unten aus geschlossenen Platten besteht und ein massives Erscheinungsbild besitzt, ist oben zu allen Seiten offen und wirkt transparent. Die Differenz zwischen den Platten und den Streifen teilt das Kunstwerk in eine stabile und eine flüchtige Zone. Ist es ein Versuch, Angst zu erregen und gleichzeitig in Schach zu halten? Alle möglichen Bewegungen wurden eingefroren, obwohl sie keinen Start- oder Endpunkt besitzen. Die Skulptur scheint ein zufälliger Ausschnitt aus einem größeren Chaos zu sein.
SUITE 20
FINALE
Suite 20 bleibt bis zuletzt verborgen. Es stellt sich heraus, dass sie sich außerhalb der städtischen Wildnis befindet, auf einem Deich, der das Ende des Brettenpads von einem Industriegebiet trennt. Sie ist groß und beeindruckend. Extra hoch, weil sie sich auf dem Deich über dem tiefer liegenden Pfad befindet. Die Struktur ist vorn betrachtet am klarsten und offensten. Beide Seiten sind sehr kompliziert gestaltet. Die Rückseite schlägt bildlich die Tür mit einem diagonalen Streifen aus verbogenem Stahl zu. Eine Festung mit einem Innenraum, der kaum zugänglich ist und die gesamte Umgebung überblickt. Die offene Front, die einen Blick in das geschützte Innere bietet, lädt zum Betreten ein. Aber eine emotionale Schwelle muß überschritten werden, da sich das Gebäude wie ein privater Raum anfühlt, der bereits besetzt ist. Im Inneren herrscht ein Gefühl des Schutzes, was durch die Abschlussplatte oben und den aufgehängten Streifen an der Rückseite hervorgerufen wird. Die Nähe der Stützen auf beiden Seiten hilft ebenfalls. Die Seiten sind unregelmäßig geöffnet. Dies macht die Skulptur transparent. Die Öffnungen betonen den vertikalen Verlauf der Träger. Es sind unregelmäßig geformte Fenster, die die Massigkeit der Stahlkonstruktion aufheben. Suite 20 ist eine Burg, gleichzeitig ein Haus und eine Verteidigung. Einmal darinnen, krümmt sich der Rücken und Angst entsteht, gegen die Wände zu stoßen. Die Berührung wäre schmerzhaft und man könnte an etwas hängen bleiben. Ängstlich blickt man nach oben, weil die Skulptur nur auf Zehenspitzen balanciert. Das was trägt und das was stützt, ist nicht voneinander zu unterscheiden. Was hängt oder liegt, scheint nur für das Vergnügen der Vielfalt oder zur Verwirrung gedacht zu sein. Es ist nicht nur der Stahl, der die Skulptur großartig macht, sondern der Sinn für Geschichte, der in ihr wohnt. Es sieht so aus, als wäre sie schon lange hier.
EPILOOG
Alle Völker der Erde fertigen Skulpturen an. Skulpturen sind Gegenstände, die unsere Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Manchmal ähneln sie Menschen, wie eine der ältesten, die wir kennen, die Venus von Willendorf. (24.000-22.000 v. Chr.) Eine nur 11 Zentimeter große Statue. Die Menschen haben das Gefühl, dass in einer Skulptur echte Kraft steckt. Seit alten Zeiten haben Skulpturen ihre eigene Präsenz in unserer Welt. Wir können nicht ohne sie leben. Eine Skulptur kann nicht ohne Worte existieren. Wir haben alle die Erfahrung gemacht: Wir sehen eine Skulptur, wissen aber nicht, was wir damit anfangen sollen. Wir haben keine Worte dafür. Trotzdem möchten wir die Skulptur etwas besser kennenlernen, um zu wissen, was sie bedeuten könnte. Dafür brauchen wir Sprache. Wir müssen nach Begriffen suchen, die durch das, was wir sehen, einen Sinn bekommen. So wie das Wort “rot” einen besonderen Inhalt und eine besondere Bedeutung annimmt, wenn wir rot werden. Dann wissen wir sofort: Es gibt nicht nur Farben, es gibt auch Gefühle. Gefühle, so wie die Kunst, benötigt Sprache. Worte transportieren unsere Erfahrungen ins Bewusstsein. Bewusstsein macht unser Wissen und unsere Gefühle beherrschbar. Aber Vorsicht: Worte möchten unsrere Gefühle beherrschen. Worte sind insofern gefährlich, als sie unsere Wahrnehmungen und unser Gefühle beeinflussen, wenn wir sie nicht sehr sorgfältig auswählen.
Die Erfahrungen verleihen einer Skulptur Bedeutung. Wie wir sie erleben, stellt einen Spiegel unserer eigenen Persönlichkeit dar. Skulpturen bewirken eine intuitive persönliche Herangehensweise, die etwas über uns selbst aussagt, so wie sich der Künstler bei der Erstellung der Werke seiner Intuition ausgesetzt hat. Auf diese Weise wird die Betrachtung von Kunst zu einer Selbstbetrachtung. Was zählt, ist die Befreiung, die das Kunstwerk uns auslöst. Diese Befreiung bedeutet nicht, dass uns per Zufall alles Mögliche zu der Skulptur einfällt, sondern dass das Kunstwerk unbekannte Gefühle und Inhalte in uns wachruft. Es beginnt mit Sprachlosigkeit. Wir stehen still und betrachten. Dann eröffnen sich Interpretationsmöglichkeiten, die wir an der Skulptur ausprobieren können. Es wird sich herausstellen, dass alle Assoziationen nicht nur das darstellen, was gesehen werden kann, sondern auch das, was nicht gesehen werden kann. Zusätzlich ergeben sich Ahnungen, was den Künstler dazu gebracht haben könnte, diese spezifische Skulptur herzustellen. Während dieser inneren Prüfung begegnen wir uns selbst, dem Bildhauer und seiner Intuition.